Hinter
dem unscheinbaren Wort „Erinnerungen“ verbergen
sich Geschichten, die großteils schon als „Einzelstücke“ Rohstoff
genug abgäben, um spannende Filme daraus zu
machen. Was Ludi Blaas sozusagen als Retourkutsche
zum Band „Der Wilderer im Nationalpark“ zu
erzählen hat, sind aber keine Erfindungen, sondern
sauber recherchierte, aktenkundige Fälle. Dass
ein Jagdaufseher seinen Einsatz gegen die Wilderei anhand
konkreter Fälle, die zumeist ein gerichtliches
Nachspiel und entsprechende Folgen hatten, in Buchform
nachzeichnet, dürfte bislang ein Novum sein. „Alles,
was ich geschrieben habe, ist mit Protokollen, Akten
und Schriftsätzen dokumentiert“, verrät
Ludi Blaas dem „Vinschger“. Die Betroffenen,
sprich die Wilderer, die er während seiner 28-jährigen
Laufbahn als Jagdaufseher im Revier Mals erwischt
hat, zumeist mit Hilfe des damaligen in Mals stationierten
Polizisten Gioacchino Cristelli bzw. mit Finanzbeamten,
werden im Buch laut Ludwig Blaas nicht mit vollem
Namen, sondern nur mit den Anfangsbuchstaben angeführt.
Seinen Beruf als Jagdaufseher nahm der jetzt 75-Jährige,
der bis 2000 im Dienst stand, sehr ernst. „Wir
waren als Aufseher nicht mehr als bewaffnete Bauernknechte
ohne Kompetenzen“, so Blaas.
Vor allem deshalb habe er stets die Zusammenarbeit
mit der Polizei und den Finanzbeamten gesucht und auch
gefunden, „auch wenn man mich oft als Verräter
und Fanatiker beschimpfte, als einen, der mit den Walschn’ zusammenarbeitet.“ Er
habe es stets als seine Pflicht und Aufgabe gesehen,
mutmaßlichen Wilderern auf die Spur zu kommen,
sie zu stellen und der Gerichtsbarkeit zu übergeben: „Wäre
ich untätig geblieben, hätte ich mich geschämt,
jeden Monat meinen Gehalt abzuholen.“
Das Duo Blaas und Cristelli war im Obervinschgau,
wo zur Dienstzeit von Ludi sehr viel gewildert wurde,
vor allem auch nachts und mit Scheinwerfern, weitum
gefürchtet. Den Ausdruck „ABC – Attenzione,
Blaas e Cristelli“ hat laut Ludwig Blaas Cristelli
selbst geprägt. Die Zusammenarbeit mit den Finanzern
ging so weit, dass diese dem Jagdaufseher für
die nächtlichen „Pirschgänge“ immer
ein eigenes Funkgerät zur Verfügung stellten.
Ludi: „Wenn ich ein verdächtiges Auto auskundschaftete,
funkte ich den Finanzern. Diese waren dann sofort zur
Stelle und sperrten die Straße. Schnell ging
das auch deshalb, weil sich einige der Finanzer stets
in ihren Uniformen auf die Branden legten, um
bei Bedarf schnell starten zu können.“
Weiters war Ludi stets in vierbeiniger Begleitung.
Es waren dies Deutsche Schäferhunde, die er selbst
schulte. Nicht nur die Wilderer hatten großen
Respekt vor Ludwig Blaas, sondern auch die Schwarzfischer.Mit
allzu vielen Einzelheiten will der ehemalige Jagdaufseher
noch nicht herausrücken. Fest steht, dass fast
jedes Kapitel ein kleiner „Krimi“ ist.
So wird zum Beispiel geschildert, wie ein Jäger
den gewilderten Rehbock an einem Baum aufhängte
und ihn mit Ästen zudeckte, wie er die Beute in
stockdunkler Nacht holen wollte, wie er dabei überrascht
wurde, wie er floh und dabei seinen Hut verlor und
wie ihm eben dieser Hut zum Verhängnis wurde,
als seine Frau am Tag danach eben diesen Hut als jenen
ihres Mannes erkannte.
Auch „Wilderergeschichten“, bei denen geschossen
(O-Ton Ludi: „Gott sei Dank habe ich nicht getroffen“)
und gerauft wurde, werden im Buch, das sich zurzeit
noch in der Phase des Endlektorates befindet,
geschildert. Manche Begebenheiten klingen unglaublich.
So
wird zum Beispiel von der Mutter eines Wilderers erzählt, die ihren Sohn schützen wollte
und dem Cristelli in den Rücken sprang,
als dieser ihrem Sohn die Handschellen anlegen wollte.
Unvergesslich ist für Ludi Blaas auch ein Fund,
der er 1987 machte: er entdeckte im Nationalparkgebiet
ein Gewehr, 7 kg Fleisch und drei Trophäen,
die von 2 trächtigen Gemsen und einem Gemsjährling
stammten. Alles andere hatte der Wilderer zurückgelassen.
Dass auch nicht wenige Jäger wilderten, belegt
der Umstand, dass Ludwig Blaas von 7 Jägern
eines Obervinschger Seitentales 6 erwischt hat und
2 davon sogar dreimal.
Aber auch Episoden zum Schmunzeln kommen nicht zu
kurz. Ludi: „Einmal hatte mich Cristelli zu
einem bestimmten Ort gerufen. Als ich hinkam, sah
ich eine große blonde Frau. Es war aber keine
Frau, sondern Cristelli, der sich eine Perücke über
den Kopf gezogen hatte.“
Auf die Frage, ob er nie Drohungen erhalten
habe, meinte Blaas: „Sicher, aber ich habe
sie nie wirklich ernst genommen.“ Nächtliche
Wilderei, auch mit Fallen, sei oft auch zum Geschäftemachen
betrieben worden: billiges Wildbret für Gasthäuser.
Gedanklich verarbeitet hat Blaas seine insgesamt
ca. 80 Wilderer-Fälle beim Radfahren. Er
fuhr sage und schreibe 226 Mal auf das Stilfserjoch.
Wird heute auch noch gewildert? Blaas: „Ja,
aber mit der Aufsicht hapert es heutzutage gewaltig.“
von
SEPP (Josef Laner)
Ausgabe 40/10 -
10.
November 2010
Kategorie: Menschen
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